Freitag, 7. Juli 2023

Putins Rache

 Aurora

(Originaltitel: Archangel) ist ein 1998 erschienener Roman des britischen Schriftstellers Robert Harris. Der Thriller thematisiert die Recherchen eines britischen Historikers in der stalinistischen Vergangenheit Russlands, dabei verknüpft der Autor Fiktion mit historischen Fakten. [Wikipedia]

Inhalt: Der britische Historiker Fluke Kelso
nimmt an einem internationalen Historiker-Kongress in Moskau teil. Aus dem Fenster seines  Moskauer Hotels Ukrainia schaut er auf die Stadt. Dabei telefoniert er mit seinem US-amerikanischen Historiker-Kollegen Frank Adelmann von der Yale-Universität, der im Stock unter ihm sein Zimmer hat und ebenfalls aus dem Fenster schaut.

"Unterhalb Kelsos Zimmerfenster breitete sich Moskaus glitzernde Nachtlandschaft aus. Leuchtreklame schwebte über der Stadt wie die Standarten einer Invasionsarmee: Philips, Marlboro, Sony, Mercedes-Benz.
Früher einmal war es in Moskau nach Sonnenuntergang so dunkel gewesen wie in einer x-beliebigen Stadt im afrikanischen Dschungel. Das war jetzt vorbei.
Nirgendwo war ein russisches Wort zu sehen.
Kelso: »Ich hätte nie geglaubt, daß ich das einmal erleben darf. Sie etwa?«
Adelmanns Stimme knisterte aus dem Hörer:
»Das ist der Sieg, den wir vor uns sehen. mein Freund. Ist Ihnen das klar? Der totale Sieg.«
»Glauben Sie das wirklich Frank? Für mich sieht es nur aus wie eine Menge Lichter.«
»Oh nein. Es ist mehr als nur das, glauben Sie mir. Von hier aus führt kein Weg zurück.«
»Und als nächstes wollen Sie mir vermutlich erzählen, es wäre >das Ende der Geschichte<.« 

»Vielleicht ist es das. Aber Gott sei Dank nicht das Ende der Historiker.«
Adelmann lachte. »Wir sehen uns im Foyer. Sagen wir, in zwanzig Minuten.» Er legte auf.
[...] Das Ende der Geschichte, so ein Blödsinn dachte er. Moskau war die Stadt der Geschichte. Das war das ganze verdammte Land der Geschichte."

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Der Begriff  Ende der Geschichte (englisch End of History) wurde vom Politikwissenschaftler Francis Fukuyama durch einen im Sommer 1989 veröffentlichten Artikel in der Zeitschrift The National Interest und ein Buch mit diesem Titel (The End of History and the Last Man, 1992) popularisiert. Er führte zu Kontroversen bis in die Leitartikel diverser Zeitungen. [Wikipedia]

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Putins Rache?

Wladimir Wladimirowitsch Putin,
* offiziell am 7. Oktober 1952 in Leningrad, ist ein russischer Politiker. Er führt seit dem 31. Dezember 1999 (mit formeller Unterbrechung von 2008 bis 2012) die Amtsgeschäfte als Präsident der Russischen Föderation. Von August 1999 bis Mai 2000 sowie von Mai 2008 bis 2012 war Putin Ministerpräsident Russlands. […] Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 sind die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zerrüttet […]. Im Februar 2022 überfiel Russland die Ukraine militärisch. […] Der von ihm als „Spezialoperation“ bezeichnete Angriffskrieg löste eine Flüchtlingswelle von über 6 Millionen Ukrainern über die Landesgrenze sowie von ca. 8 Millionen Vertriebenen im Inland aus. [Wikipedia, abgerufen 7.6.2023] 

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Das Projekt Cassandra


"Projektleiter Jürgen Wertheimer, Professor für Internationale Literatur in Tübingen, beschäftigt sich bereits seit den 1980er Jahren mit der Frage, wie sich gesellschaftliche Stimmungen und Gefühle in literarischen Texten niederschlagen – und wie umgekehrt auch literarische Texte in die Gesellschaft hineinwirken und bestimmte Entwicklungen verstärken können.

Drei Jahre lang erforschte Projekt Cassandra im Auftrag des Bundesministeriums der Verteidigung das prognostische Potential von Literatur
in konfliktgefährdeten Regionen. Die Hypothese: Krisen und Konflikte zeichnen sich bereits Jahre vor ihrem gewaltvollen „Ausbruch“ in der Literatur ab. Den meisten Kriegen geht ein „Krieg der Wörter“ voraus. Projekt Cassandra hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand von Literatur- und Rezeptionsanalysen drohende Krisen und Konflikte bereits in ihrer Latenzphase zu erkennen. Literatur als Frühwarnsystem, um nicht von vermeintlich plötzlichen „Zeitenwenden“ überrascht zu werden.
" [Quelle]
Vielleicht ist der Roman von Harris ein Beispiel dafür, wie anhand von Literatur drohende Krisen und Konflikte bereits in ihrer Latenzphase erkannt werden können: Literatur als Frühwarnsystem, um nicht von vermeintlich plötzlichen „Zeitenwenden“ überrascht zu werden?

Harris`s Roman Aurora

spielt im Jahr 1997 unter der Präsidentschaft von Boris Jelzin und erschien im Jahr 1998.
Am 12. Juni 1991 war Boris Jelzin bei den ersten russischen Präsidentschaftswahlen zum Präsidenten der Russischen Teilrepublik (RSFSR) gewählt und 1996 wiedergewählt worden . - Er war bis zu seinem Rücktritt am 31. Dezember 1999 im Amt, also insgesamt 8½ Jahre.

1997/98 hatte der heutige Präsident Wladimir Putin noch kein Regierungsamt in Russland inne.
Putin wurde 1989 zum Vize-Direktor der Universität St. Petersburg berufen. Im Jahr 1992 schied er mit dem Dienstgrad eines KGB-Offiziers in der ersten Hauptabteilung der Auslandsspionage aus dem Dienst des sowjetischen Geheimdienstes KGB aus.
Ab 1996 arbeitete Putin im Moskauer Kreml unter der Führung von Boris Jelzin. - 1998 stieg er zum Chef des Geheimdienstes FSB, im März 1999 zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates auf. -
In der Neujahrsnacht 2000 trat der russische Präsident Boris Jelzin von seinem Amt zurück. Der seit längerem gesundheitlich angeschlagene Jelzin gab der überraschten Weltöffentlichkeit Wladimir Putin als seinen Nachfolger bekannt. [Quelle] ...

Im Roman

begibt sich der oben genannte Historiker Dr. Fluke Kelso bei einem nächtlichen Ausflug in einen Club der Reichen und Schönen, der Prostituierten und der Geschäftsleute.  Dort erkennt ihn - "Großartig! Das hatte ihn gerade noch gefehlt" - ein US-amerikanischer Fernsehreporter, der in Moskau arbeitet. Der brüllt, um die Musik zu übertönen: "Das neue Russland. Man kauft sich, was immer man haben will, und es ist immer jemand da, der es verkauft."
Die beiden Männer kommen ins Gespräch:

Reporter zu Kelso: "Es ist wie in der Weimarer Republik.
Haben Sie nicht genau das geschrieben? Schauen Sie sich doch um. Das einzige, was noch fehlt, ist Marlene Dietrich, in einem Smoking, und wir könnten ebensogut in Berlin sein. Mir hat Ihr Buch übrigens gefallen, Professor. Habe ich Ihnen das schon gesagt?"
Kelso: "Haben Sie. Danke. Prost!"
Reporter: "Die Weimarer Republik, so sehe ich es. Genauso, wie Sie es sehen. Sechs Dinge sind gleich, okay? 

  • Erstens, da ist ein großes Land, ein stolzes Land, das sein Imperium verloren hat, im Grunde einen Krieg verloren hat, sich aber nicht vorstellen kann, wie das passieren konnte - also glaubt es, daß ihm jemand einen Dolchstoß in den Rücken versetzt hat, also gibt es massenhaft Ressentiments, richtig?
  • Zweitens, Demokratie in einem Land, das keinerlei demokratische Tradition hat die Russen können Demokratie nicht von einem Loch in der Erde unterscheiden -, die Leute mögen sie nicht, haben das ganze Diskutieren satt, sie wollen eine starke Linie, irgendeine Linie. 
  • Drittens: Grenzprobleme - massenhaft Volksangehörige leben plötzlich in anderen Ländern, behaupten, dort unterdrückt zu werden. 
  • Viertens: Antisemitismus- man kann Marschlieder der SS an jeder Straßenecke kaufen. Bleiben noch zwei Punkte." 

Kelso: "Und welche sind das?" Es gefiel ihm gar nicht, daß seine Ansichten von O'Brian so plump nachgeplappert wurden, als wäre er ein Tutor in Oxford.

  • Reporter: "Wirtschaftlicher Zusammenbruch, und der wird kommen, glauben Sie nicht?"

Kelso: "Und?"

  • Reporter: "Liegt das nicht auf der Hand? Hitler. Noch haben sie ihren Hitler nicht gefunden. Aber wenn es soweit ist - dann sollte die restliche Welt auf der Hut sein."

Der Reporter legte den linken Zeigefinger auf die Oberlippe und hob den rechten Arm zum Nazigruß. Eine Gruppe von russischen Geschäftsleuten auf der anderen Seite der Bar johlte und applaudierte. Danach verging der Abend wie im Flug.

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Womit wir bei dem beliebten Vergleich zwischen Putin und Hitler wären ? 

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Aus dem Roman: 

"Sie gehen mir auf die Nerven", sagte der Russe. Offenbar fing er jetzt an, die Beherrschung zu verlieren. "Leute wie Sie. Was wollt ihr denn noch alles von uns? Ihr habt gewonnen, aber reicht euch das? Nein, ihr müßt es uns auch noch ständig unter die Nase reiben - Stalin, Lenin, Berija: Ich kann diese verdammten Namen nicht mehr hören - und zwingt uns, alle unsere schmutzigen Kleiderschränke zu öffnen und uns in Schulgefühlen zu suhlen, nur damit ihr euch überlegen vorkommen könnt ..."

 Ende

Freitag, 28. Oktober 2022

Arbeitskreis Lesbenpolitik der GEW Baden-Württemberg feiert 2022 sein 30-jähriges Jubiläum.

"Der Arbeitskreis Lesbenpolitik [= AKL] der GEW [=Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft] Baden-Württemberg  feierte dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum.

Beim Festakt im Stuttgarter Hotel Silber präsentierten AKL & GEW-BW eine Studie zur Geschichte des Arbeitskreises – und diskutierten mit der Kultusministerin Schopper.

 
Am Mittwoch, 26. Oktober 2022, von 17:30 bis 20:30 Uhr feierte die GEW Baden-Württemberg im Museum/ in der Gedenkstätte  Hotel Silber in Stuttgart das 30-jährige Bestehen des Arbeitskreises (AK) Lesbenpolitik.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich viel getan und der AK hat schon viel erreicht, besonders die gewachsene Sensibilität für die Bedeutung von sexueller und geschlechtlicher Identität in der GEW und in Bildungsberufen.
Im Rahmen der Feier warfen AKL und GEW einen Blick zurück – und wagten den Blick nach vorn: Der Berliner Historiker Andreas Pretzel stellte seine Studie zur Erforschung der Geschichte des Arbeitskreises vor. Anschließend diskutierten unter anderem Kultusministerin Theresa Schopper und LesbenpolitikerInnen der GEW über die Möglichkeiten zur Teilhabe und Persönlichkeitsentwicklung an den Schulen im Land.
Die musikalische Begleitung des Abends übernimmt der Stuttgarter Frauenchor Fortissimas.


  • Auch nach der Veranstaltung ist es möglich, selbige im Netz abzurufen und anzuschauen:  --- ca. 2,5 Stunden. 


Der Chor singt zu Beginn und Ende der Veranstaltung. Und in der Mitte.
Unter dem Motto: "That`s where we will be free"

Anmerkung:
Nachdem Martin Luther King die "Hymn to Freedom" von Oscar Peterson gehört hatte, hat er das Stück zum thematischen Titelsong seiner Bürgerrechtsbewegung gemacht.
Für die Vokalversion schrieb Harriette Hamilton den Text.
Am 20. Januar 2009 war Oscar Petersons "Hymn to Freedom" eines der sechs Stücke, die während der Feierlichkeiten zur Amtseinführung Barrack Obamas aufgeführt wurden.
Oscar Peterson (verstorben am 23. Dezember 2007) war zeitlebens ein überzeugter Kämpfer gegen Rassismus und "Apartheid".


Manuela im Chat: Was für ein schöner Abschluss!



Kultusministerin Theresa Schopper

* 9. April 1961 in Füssen,  war von 1994 bis 2003 und von 2008 bis 2013 Abgeordnete des Bayerischen Landtags.
Von 2003 bis 2013 war sie Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Bayern.
Ab Mai 2016 war sie zunächst als Staatssekretärin und ab dem 9. Oktober 2018 als Staatsministerin für die politische Koordination im Staatsministerium Baden-Württemberg verantwortlich. Seit Mai 2021 ist sie Ministerin für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg im Kabinett Kretschmann III.

In dem Video kann man Frau Schopper  ab Minute 29 etwa 20 Minuten lang zuhören und zusehen. Wer sie noch nie gesehen hat, bekommt hier einen Eindruck... . ---
Sie ist keine mitreißende Rednerin, plaudert eher aus dem Nähkästchen ... -
Wohltuend ist, dass sie frei spricht, ihre Rede nicht abliest, wohl "von Herzen" spricht und nicht eine Rede vorträgt, die ihr ein Referent oder eine Referentin aus Anlass des Tages geschrieben hat. --- So der Eindruck.


Manuela im Chat:  Die Klarheit ist da - es wäre schön, wenn wir noch Konkretes zur Situation an Schulen hören. Spätestens wohl auf dem Podium. [siehe unten]

Frau Schopper lobt die Arbeit des ZSL und die Broschüre "Alle Farben im Blick"
[geschrieben nur (!) für Schulpsychologie und  für Beratungslehrkräfte, nicht für die gemeine Lehrperson],
die bundesweit abgefragt werde. -
  • Allerdings hatte das KuMi die Broschüre lange Zeit und immer noch in seinen Schubladen versteckt,
  • in gedruckter Form wird sie kaum herausgerückt,
  • und auch der Download ist weiterhin in den Tiefen des Internets so vergraben, dass auch manche Suchmaschinen sie nicht finden wird... ( siehe 
  • Aber hier gibt es sie:   

Manuela im Chat: Die GEW bietet im kommenden Halbjahr ein Seminar zum Empowerment für LSBTTIQ-Lehrkräfte an.



 Andreas Pretzel
*1961,  studierte Kulturwissenschaft und Germanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist dort seit 1992 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle Archiv für Sexualwissenschaft. Außerdem ist er auch als Dozent an der Akademie Waldschlösschen tätig. Pretzel sprach unter anderem 2014 bei der Fachkonferenz „Gedenken neu gedacht“ in Wien. Pretzel ist Mitherausgeber der Schriftenreihe Berliner Schriften zur Sexualwissenschaft und Sexualpolitik.   [Wikipedia]


Die Festrede im Video ab Minute 51 bis 1:15 , also ca. 25 Minuten.

Manuela im Chat:  Ich kann Andreas Pretzel gut zuhören. Ich hoffe, es geht anderen auch so.
  • Anschließend ein Podium,  im Video ab Minute 1:30 bis 2:11 (= ca. 40 Minuten).


WEB GEW-BW
WEB GEW bundesweit
Postkarte dazu
TIN:  - "Trans*, inter*, nichtbinär"
GEW: Gleichstellung
GEW: Bildung und Geschlecht


Montag, 25. April 2022

»Die Russen sind auf die Weltherrschaft aus«. Von Putin, Helmut Schmidt, Sozialdemokraten und Margret Thatcher

Zum Buch
Philipp Sarasin,
geboren 1956, ist Professor für Neue Allgemeine Geschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich. Er war Mitbegründer des Zentrums Geschichte des Wissens von Universität und ETH Zürich (man sagt ja, das sei die beste Universität auf dem europäischen Kontinent) und ist Mitherausgeber des Online-Magazins Geschichte der Gegenwart.

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Weiter unten, einige Auszüge aus dem Buch. 

Warum? Es ist verblüffend, wie viele Parallelen man zur heutigen Situation in Europa entdecken kann (Putin, Russland, Kalter Krieg, Bedrohung der Individuellen Freiheiten, Es ist, als würde die Geschichte sich wiederholen. Als hätten wir keine Zeiten-Wende, sondern eine Rück-Kehr der Zeiten. Als würden die gleichen Kämpfe von Mitte der 1970er Jahre nun, 50 Jahre später, noch einmal geführt. - Mit welchem Ausgang dieses Mal? Mit welchem Unterschied?

In der Mitte der Siebzigerjahre blickten viele Zeitgenossen mit einer Mischung von Schrecken und Erleichterung auf den Kalten Krieg zurück: als eine Zeit, in der die Gefahr eines atomaren Armageddon unmittelbar bevorzustehen schien, in Berlin die Mauer gebaut wurde und in Prag sowjetische Panzer Dubceks Reformkommunismus niedermachten. Die Rede vom »Atomkrieg« beziehungsweise vom »nuclear war« war jetzt vergleichsweise selten geworden, die beiden Supermächte bemühten sich um »Entspannung« und die Bundesrepublik strebte unter der Regierung Brandt im Verhältnis zur DDR und den osteuropäischen Staaten nach einem »Wandel durch Annäherung«.

Die Schlussakte der »Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« (KSZE) 1975 in Helsinki schließlich weckte konkrete Hoffnungen auf ein friedliches Zusammenleben und einen ebensolchen Austausch zwischen den Blöcken.

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Einige weitere Stichworte:

  • Das strategische Gleichgewicht in Europa werde/wurde gefährlich destabilisiert
  • Die »individuelle Freiheit« in Amerika sei durch die militärische Überlegenheit der Sowjetunion bedroht
  • »There is no substitute for victory« — »es gibt keine andere Option als den Sieg« über die Sowjetunion
  • Die in Margret Thatchers Augen unmittelbare Bedrohung der Freiheit des Westens durch die sowjetische militärische Aufrüstung: 
  • »Die Russen sind auf die Weltherrschaft aus, und sie eignen sich rasch die Mittel an, um die mächtigste imperiale Nation zu werden, die die Welt je gesehen hat«
  • Die Sowjetunion nütze die Entspannungspolitik schamlos aus, die Abrüstungsgespräche, internationale Verträge; ... schamlos zu ihrem eigenen militärischen Vorteil
  • Für Thatcher bedeutete dieses »Vorrücken der Macht des Kommunismus«, dass der westliche »Lebensstil« insgesamt bedroht sei. Daher gäbe es »Momente in unserer Geschichte, in denen wir eine grundsätzliche Wahl zu treffen haben«.
  • Der Unterschied zwischen der Sowjetunion und Labour, der Sozialdemokratie, war für sie nicht grundsätzlicher, sondern bloß gradueller Natur, was sie gleich zu Beginn der »Britain Awake«-Rede mit der mehr als spitzen Bemerkung unterstrich, 
  • Sozialisten würden sich nicht vor russischen U-Booten und Raketen fürchten, weil »vielleicht einige Leute in der Labour Party denken, wir stünden auf derselben Seite wie die Russen«. 
  • Am 19. Januar 1976 richtete Thatcher in einer Rede in der Londoner Kensington Town Hall unter dem Titel »Britain Awake« das Visier ihrer von einem Team von Redenschreibern scharf geschliffenen Rhetorik auf den sowjetischen Feind. In sehr unverblümten Worten, die wie eine aus der Zeit gefallene Kampfansage an den Kreml wirken mussten, geißelte sie die in ihren Augen unmittelbare Bedrohung der Freiheit des Westens durch die sowjetische militärische Aufrüstung..

In Deutschland warten "wir"(?) nun ungeduldig auf die "Germany-awake"-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz, in der er mit scharf geschliffener Rhetorik und in sehr unverblümten Worten sein Visier auf den russischnen Feind richtet, seine Kampfansage an den Kreml: "Deutschland erwache!" (?) 

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SS-20 Mittelstreckenrakete. Quelle
Die RSD-10 Pioner war eine sowjetische mobile ballistische Mittelstreckenrakete zum Transport von nuklearen Sprengköpfen. Die Bezeichnung der US-amerikanischen Defense Intelligence Agency lautet SS-20 (dabei steht das Akronym für surface-to-surface „Boden-Boden“) und die NATO-Bezeichnung ist Saber. Diese Raketen waren Gegenstand großer politischer Auseinandersetzungen zwischen der NATO und der Sowjetunion; ihre Stationierung hatte den NATO-Doppelbeschluss zur Folge. Die Raketensysteme wurden unter dem 1987 geschlossenen INF-Vertrag bis zum Jahr 1989 ausgemustert und bis 1991 zerstört. [Wikipedia] 

 

Auszug aus dem Buch. 

Die Schlussakte der »Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa« (KSZE) 1975 in Helsinki schließlich weckte konkrete Hoffnungen auf ein friedliches Zusammenleben und einen ebensolchen Austausch zwischen den Blöcken. Diese optimistischen Einschätzungen teilten nicht alle. Brandts Nachfolger Helmut Schmidt hatte am 28. Oktober 1977 in einer Rede im Londoner Institute for Strategic Studies amerikanische Geheimdiensterkenntnisse bekanntgemacht, dass die Sowjetunion begonnen habe, die neue atomar bestückte Mittelstreckenrakete RSD-10 »Pioner« (im NATO-Code die SS-20 »Saber«) in Gefechtsbereitschaft zu stellen.

Diese mobile Trägerrakete mit ihren drei atomaren Sprengköpfen bedrohe erstmals nicht das Territorium der USA, sondern China und den Nahen Osten, vor allem aber Westeuropa; sie würde daher, so Schmidt, trotz der in den SALT-II-Gesprächen angestrebten atomaren Parität der Supermächte das strategische Gleichgewicht in Europa gefährlich destabilisieren." Schmidt sprach weitgehend verklausuliert zu — vermutlich ausschließlich männlichen — Experten und Diplomaten, seine Londoner Rede fand daher in der Öffentlichkeit kaum Resonanz. Aber auch die Regierung Carter schenkte ihr wenig Gehör. Carters nationaler Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski wehrte sich dagegen, die SS-20 in die SALT-II-Verhandlungen aufzunehmen, um diese nicht zu verkomplizieren, und auch andere außenpolitische Experten warnten davor, übertriebene Bilder von der sowjetischen militärischen Bedrohung zu zeichnen."

 Deutlich weniger diplomatisch und auch viel pauschaler als Schmidt

— und noch vor dessen Warnungen vor der SS-20 — hatte sich im Jahr zuvor [1976] in den USA im Vorwahlkampf der Republikanischen Partei Ronald Reagan, der parteiinterne Herausforderer des noch amtierenden Präsidenten Gerald Ford, über die sowjetische Bedrohung geäußert. Der ehemalige Gouverneur von Kalifornien und erklärte Konservative vom rechten Flügel seiner Partei griff Ford vor allem wegen dessen angeblich zu nachgiebigen Haltung gegenüber der Sowjetunion an. Ford und sein Außenminister Henry Kissinger hätten unter dem Zeichen der détente [Die Verbesserung zwischenstaatlicher Beziehungen, Entspannungspolitik] den Niedergang der amerikanischen Militärmacht zu verantworten, die USA seien strategisch hinter die Sowjets weit zurückgefallen und in »Angola, Kambodscha und Vietnam« sei der Friede, von dem Ford spreche, »der Friede des Grabes«.

Ganz ähnliche Töne waren gleichzeitig in Großbritannien zu vernehmen.  

Sie kamen von der konservativen Oppositionspolitikerin Margaret Thatcher, die 1975 den in zwei nationalen Wahlen als Premierminister knapp geschlagenen und politisch geschwächten Tory-Parteichef Edward Heath vom Vorsitz der Konservativen verdrängt hatte und zum ersten weiblichen »leader« einer großen politischen Partei eines westlichen Staates aufgestiegen war."

Thatcher zitierte gar Solschenizyns Behauptung, der Westen befände sich im »Dritten Weltkrieg« gegen die Sowjetunion und verliere dabei immer mehr an Boden; es sei dies ein Krieg, zu dem sie nicht nur die »kommunistische Aggression« in Indochina und die sowjetische Unterstützung der MPLA in Angola zählte, sondern zum Beispiel auch die Nelkenrevolution in Portugal.
Doch ganz unabhängig davon, ob Thatchers alarmistische Beschreibung des militärischen Potentials der Sowjetunion die Sachlage richtig wiedergab — es existierten dazu auch ganz andere Einschätzungen —, war schon an der Rede selbst erkennbar, dass es allein darum gar nicht ging.

Es seien vielmehr grundsätzlich die »Exzesse des Sozialismus«, die nicht nur wegen gefährlich niedriger Verteidigungsausgaben der Labour-Regierung, sondern ebenso in Gestalt ihrer »sozialistischen« Wirtschaftspolitik »das Überleben unseres way of life« bedrohe.

Diese polemische Verbindungslinie zwischen einer wiederentflammten Rhetorik des Kalten Krieges und der innenpolitischen Denunziation des wohlfahrtsstaatlichen Kompromisses der Nachkriegszeit als »Sozialismus« war typisch für Thatchers offensiven Konservatismus, der kurz nach ihrer Wahl zur Parteichefin auf den Neologismus »Thatcherism« gemünzt wurde, weil er für die konservative Presse anfänglich verwirrend neu und schwer zu fassen war.
Aber dieser neue Konservatismus war nicht einfach Thatchers Erfindung. Er prägte auch, um damit zu beginnen, das Programm des 1976 knapp gescheiterten Präsidentschaftskandidaten Reagan.

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Alarmismus ist ein politisches Schlagwort, mit dem eine unnötige oder übertriebene Warnung vor Problemen bezeichnet oder behauptet wird. Wer den Begriff verwendet, drückt damit in der Regel wertend aus, dass er die Warnungen und Ängste nicht teilt oder für stark überzogen hält. Der Begriff fand auch Eingang in die Medienkritik. [Wikipedia]

 Die Movimento Popular de Libertação de Angola (MPLA; deutsch Volksbewegung zur Befreiung Angolas) war eine der drei wichtigsten angolanischen Befreiungsbewegungen gegen die Kolonialmacht Portugal und ist seit der Unabhängigkeit des Landes (1975) die beherrschende Partei Angolas. Sie konnte ihre politische Machtposition auch nach der Einführung des Mehrparteiensystems im Jahr 1990 behaupten und regiert das Land bis in die Gegenwart mit einer relativ stabil erscheinenden absoluten Mehrheit. Die Partei mit Sitz in Luanda wurde ursprünglich als marxistische bzw. kommunistische Bewegung gegründet, jedoch hat sich die MPLA im Lauf der Jahre in ihrer Ausrichtung zusehends sozialdemokratischen Positionen angenähert. [Wikipedia] 

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Siehe auch:

Zeitenwende. Von Männlichkeit, Helden, Antihelden, Pophelden, Schwarz-Weiß-Dichotomie, Putin, Selenski, Satan, Königreichen des Bösen und des Guten