Montag, 18. Februar 2013

Hannah Arendt über Schul-Zensuren und Ehrgeiz


Im Januar 2013 hatte der der deutsche Spielfilm "Hannah Arendt – Ihr Denken veränderte die Welt" von Margarethe von Trotta Premiere, der zur Zeit in den Kinos zu sehen ist. 



Opitzstr. 6, Berlin-Steglitz. Geboren wurde Hannah in Hannover-Linden.

Im Oktober 1964 ist Hannah Ahrendt von dem deutschen Journalisten Günter Gaus im ZDF interviewt worden, damals war sie 58 Jahre alt, Günter Gaus 35. 

"In seiner Interview-Reihe "Zur Person" schuf Günter Gaus einen neuen Stil des Fernsehinterviews, der ihn bei Zuschauern und Kollegen einzigartig gemacht hat. - Über 40 Jahre hinweg führte Gaus über 200 Interviews mit Personen der Zeitgeschichte. Aus verschiedenen Anlässen werden gelegentlich einzelne Interviews im Fernsehen wiederholt, etwa Klassiker unter den "frühen" Stücken, wie das Gespräch mit Hannah Arendt, das mit Gustaf Gründgens oder mit Rudi Dutschke. - Das "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" in Bonn hat die Reihe in seinen Dokumentenbestand aufgenommen." 

Hannah Arendt starb 1975 im Alter von 64 Jahren in Manhattan,wo sie auch begraben liegt, Günter Gaus starb 2004 im Alter von 72 Jahren.

In diesem Interview mit Günter Gaus spricht Hannah Arendt auch über ihre Schulzeit. Ihr Vater, Ingenieur, war gestorben als Hannah 6 Jahre alt war.

Arendt: 
Meine Mutter war nicht sehr theoretisch veranlagt. Dass sie da irgendwelche spezielle Vorstellungen gehabt hat, glaube ich nicht. Sie selber kam aus der sozialdemokratischen Bewegung, aus dem Kreis um die Sozialistischen Monatshefte; auch mein Vater, vor allen Dingen aber meine Mutter. Und die Frage hat keine Rolle für sie gespielt, sie war selbstverständlich Jüdin. Sie würde mich nie getauft haben! Ich nehme an, sie würde mich rechts und links geohrfeigt haben, wäre sie je dahinter gekommen, dass ich etwa verleugnet hätte, Jüdin zu sein. Kam nicht auf die Platte sozusagen. Kam gar nicht in Frage!  

Sehen Sie, der Antisemitismus ist allen jüdischen Kindern begegnet. Und er hat die Seelen vieler Kinder vergiftet. Der Unterschied bei uns war, dass meine Mutter immer auf dem Standpunkt stand: Man darf sich nicht ducken! Man muss sich wehren!
 

Wenn etwa von meinen Lehrern antisemitische Bemerkungen gemacht wurden – meistens gar nicht mit Bezug auf mich, sondern in Bezug auf andere jüdische Schülerinnen, zum Beispiel ostjüdische Schülerinnen –, dann wurde ich angewiesen, sofort aufzustehen, die Klasse zu verlassen, nach Hause zu kommen, alles genau zu Protokoll zu geben. Dann schrieb meine Mutter einen ihrer vielen eingeschriebenen Briefe; und die Sache war für mich natürlich völlig erledigt. Ich hatte einen Tag schulfrei, und das war doch ganz schön. Wenn es aber von Kindern kam, habe ich es zu Hause nicht erzählen dürfen. Das galt nicht. Was von Kindern kommt, dagegen wehrt man sich selber. Und so sind diese Sachen für mich nie zum Problem geworden. Es gab Verhaltensmaßregeln, in denen ich sozusagen meine Würde behielt und geschützt war, absolut geschützt, zu Hause.

Gaus: Sie haben in Marburg, Heidelberg und Freiburg studiert bei den Professoren Heidegger, Bultmann und Jaspers, im Hauptfach Philosophie und daneben Theologie und Griechisch. Wie ist es zu dieser Studienwahl gekommen?

Arendt

Ja, wissen Sie, das habe ich mir auch oft überlegt. Ich kann dazu nur sagen: Philosophie stand fest. Seit dem 14. Lebensjahr.
Gaus: Warum?

Arendt

Ja, ich habe Kant gelesen. Da können Sie fragen: Warum haben Sie Kant gelesen? Irgendwie war es für mich die Frage: Entweder kann ich Philosophie studieren oder ich gehe ins Wasser sozusagen. Aber nicht etwa, weil ich das Leben nicht liebte! Nein! Ich sagte vorhin – dieses Verstehenmüssen.
Das Bedürfnis, zu verstehen, das war sehr früh schon da. Sehen Sie, die Bücher gab es alle zu Hause, die zog man aus der Bibliothek.
Gaus: Ihre intellektuelle Begabung, Frau Arendt, so früh erprobt – sind Sie von ihr gelegentlich als Schülerin und junge Studentin auf eine vielleicht schmerzliche Weise vom Normalverhalten Ihrer Umgebung getrennt worden?

Arendt

Das hätte so sein müssen, wenn ich es gewusst hätte. Ich war der Meinung, so sind alle.
Gaus: Wann ist Ihnen dieser Irrtum bewusst geworden?

Arendt

Ziemlich spät. Ich will es nicht sagen. Ich schäme mich. Ich war unbeschreiblich naiv. Das lag zum Teil an der häuslichen Erziehung. Es wurde nie darüber gesprochen. Es wurde nie über Zensuren gesprochen. Das galt als minderwertig. Jeder Ehrgeiz galt als minderwertig, zu Hause.
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Warum wurde wohl zu Hause nicht über Zensuren gesprochen? Warum galt das als minderwertig ebenso wie Ehrgeiz in der Schule? - Im Interview wird das nicht klar, auch nicht, wenn man das ganze Interview liest. - Vielleicht ging sie an anderer Stelle darauf ein?




1 Kommentar:

  1. Es ist ein Unterschied, ob ich gut sein will, in dem was ich tue, oder ob ich besser sein will als die anderen. Ehrgeiz hat mit Geiz zu tun und mit Konkurrenz. Kooperation ist der positivere Ansatz.

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