Samstag, 22. Juni 2013

Das Kopftuch, die türkische Friseurin, der Feminismus und die Angst

"Ich werde nie das Gespräch mit einer türkischen Friseurin vergessen. Ich war erst reichlich maulfaul, als sie meine Haare schnitt. Ich erwartete mir von dem Gespräch nichts. Als wir dann doch ins Reden kamen, geriet ich prompt mit ihr in Streit. - 

Sie, lobte die im islamischen Kulturbereich übliche Unter­ordnung der Frau unter den Mann so glühend, dass ich um meine - mühsam errungenen - feministischen Positionen fürchtete und Renan innerlich rasch als Fundamentalistin denunzierte. Doch dann musste ich, ob ich wollte oder nicht, aufhorchen.
Natürlich konnte man über ihre Position anderer Meinung sein. Aber was sie mir über das Ansehen und die Rolle der islamischen Frau in der Großfamilie berichtete, den bedingungslosen Schutz der Sippe, die Verbundenheit mit den Schwiegereltern, das Leben aus der Kraft der Familie, das belegte Punkt für Punkt das, was ich aus den Büchern der positiven Psychothe­rapie des persischen Arztes und Psychoanalytikers Peseschkian kenne - die Familie als emotionale Tank­stelle und Ort der Gebundenheit anstelle des westli­chen Single-Individualismus. Seitdem sehe ich, bei allen Vorbehalten, auch türkische Frauen mit Kopftü­chern differenzierter.

Hinter meinen Vorurteilen, so weiß ich seit damals, steckt die Angst vor dem Unbekannten, nicht zuletzt die Angst davor, mein manchmal so graues und pro­vinzielles Deutschsein der Infektion exotischer Träume auszusetzen.

 Wir haben die Chance, in der Angst neue Werte un­seres Lebens zu entdecken, uns und die Umwelt zu än­dern."
Mathias Jung (* 1941), deutscher Philosoph, Psychotherapeut

Mittwoch, 19. Juni 2013

Individualisierung und Gesellschaft: Von der "Verdammung zur Individualisierung", Jan Böhmermann und der Unschuld

Sie auch:
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Reden wir mal nicht direkt über individualisierte Lernen (siehe oben die zwei Links über individualisiertes Lernen als Methode des Unterrichts bzw. über "echtes" individualisiertes Lernen). 

Sondern über Individualierung und Gesellschaft.

I. Riskante Freiheit

Die SoziologInnen Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim schrieben 1994 in dem Buch "Riskante Freiheiten" von der "Verdammung zur Individualisierung": Wir wurden mehr und mehr befreit von Familien-, Gruppen-, Kirchen-, Herkunfts- und Standesnormen. Ich bin selber zuständig für mich und mein Leben. Aus Norm-Biografien wurden Wahl- und Bastelbiografien. Die Welt steht mit (angeblich) offen, ich darf - und muss - mein eigenes Leben erfinden. Die Kehrseite der Individualisierung heißt "Vereinzelung". Statt in Familie und Tradition beheimatet und getragen zu sein, finde ich mich nun als Artist in der Zirkuskuppel des Lebens wieder. 

Manch EineR ist ratlos - manch EineR stürzt ab -  verdammt zur Freiheit und Einsamkeit bei seiner Performance in der Zirkuskuppel. Gibt es ein Sicherheits-Seil, ein Sicherheits-Netz? Nein, jeder ist seines Glückes Schmid. Nutze deine Chance. Jeder hat ein Recht auf Scheitern.

Kein Wunder, wenn Jan Böhmermann  (Jahrgang 1981)  vom neuen (satirischen) NEO-MAGAZIN (ab Herbst 2013 im ZDF) nun zwanzig Jahre nach Erscheinen des Buches "Riskante Freiheiten" sagt:
"Unterhaltungsfernsehen muss wieder reaktionärer werden." Menschen bräuchten "Ansagen, nicht mehr diesen Wust an Möglichkeiten".
 Das wäre dann die reaktionäre (satirische?) Antwort auf auf die Verdammung zur Individualisierung, auf das Risiko der Freiheit.

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II. Wer keinen Arbeitsplatz findet, ist selber Schuld.

Der amerikanische Professor Dennis Ray aus Los Angeles schrieb 1971 einen Aufsatz, um den es eigentlich um "China nach Mao" ging und um unterschiedliche Gesellschaftssysteme. Was er damals als "laissez-faire-Kapitalismus" bezeichnete, würde man vielleicht heute auch als "freie" Marktwirtschaft bezeichnen oder Neo-"Liberalismus". Er sagte:
Eine Haupt-Tugend des laissez-faire-Kapitalismus ist es, dass er persönliches Scheitern durch persönliches Verschulden erklärt und rationalisiert - basierend auf dem Mythos von Chancen-Gleichheit und sozialer Mobilität. 


Ein [durch verschiedene Kampagnen wie die Kulturrevolution u.a.] über Jahre hinweg hoch mobilisiertes gesellschaftliches System wie das kommunistische China kann das Scheitern eines Individuums nicht auf seine persönlichen Defizite beziehen, weil sich sein ganzer Ethos darum dreht, dass menschliches Leid und Elend politische und ökonomische Ursachen hat. Das Individuum ist so konditioniert, dass es seinem Ärger und seiner Unzufriedenheit gegen den vermuteten politischen Feind und Verursacher richtet [den eigenen Kaiser, die ausländischen Kolonialherren, die Bourgeoisie im Lande...] - Das war ein wirksames politisches Mittel für die chinesischen Kommunisten, so lange der Zusammenhalt innerhalb der kommunistischen Elite funktionierte.
Sobald dieser Zusammenhalt aber zerbrach, konnten sich Frust und Feindseligkeit über schlechte Lebensbedingungen auch gegen verschiedene Segmente und Gruppen des Kommunistischen Establishments richten.In Zukunft könnte die Frustration aber auch von politischer Manipulation unabhängig werden und sich gegen jegliche Autorität richten. So kann die Dynamik der politischen Mobilisierung sich schließlich gegen die Legitimität der Regierung richten, wenn sie es nicht schafft, die Bedürfnisse und Erwartungen der Mehrheit des Volkes zu befriedigen. Das geschah in der Kulturrevolution, als sich der Zorn der revolutionären Jugend in Form der "Roten Garden"  gegen die Partei-Kader und die Partei-Bürokratie der Kommunistischen Partei Chinas richtete. 
III.Was sagt uns das?

Man könnte es so sehen: Ein politisches System, das die Bedürfnisse seiner Menschen nicht mehr befriedigen kann oder will, wird von Chancengleichheit, Freiheit des Individuums und davon reden, dass jeder seines Glückes Schmid sein darf und muss. 
Warum? Damit möglichst wenige der Menschen dieses Systems auf die Idee kommen, dass vielleicht auch die Regierung oder die Elite dieses Systems irgendwie daran beteiligt sein könnte, wenn ein Individuum selber aus jemand aus seiner Familie keine Arbeit mehr findet oder für immer mehr Stress immer weniger Lohn bekommt oder... .  Selber Schuld! Du hast ja alle Freiheiten und Chancen. Wahrscheinlich hast du in der Schule nicht genug getan? Sonst hättest du einen besseren Schulabschluss, einen besseren Abischnitt. - Ich, die Regierung, kann da gar nichts machen. Ich wasche meine Hände in Unschuld.


Unschuld-Seife

Sonntag, 16. Juni 2013

Schularten - Und was machen jetzt die Bürgermeister vor Ort?

Die Hauptschule verliert seit 40 Jahren Schüleranteile. 
Sie hatte mal 70 Prozent eines Jahrgangs, heute gehen teilweise weniger als 10 Prozent dorthin. Der beschleunigte Verfall hat damit zu tun, dass es einfach weniger Kinder gibt. 
Bei sinkenden Schülerzahlen hat das Gymnasium verständlicherweise die besten Karten, seinen Bestand zu halten - indem es im Revier der Realschulen wildert. Und die Realschulen warben schon immer Hauptschüler ab. Nur, da ist heute nicht mehr viel zu holen.

Eltern wollen ihren Kindern den besten Abschluss ermöglichen. 
Das ist ja auch völlig richtig in einer Welt, die technisch immer anspruchsvoller wird und in der die einfachen Berufe aussterben. Die Hauptschule bietet eben nur den qualifizierenden Abschluss. In vielen Fällen nicht mal diesen. Daher ist es für Eltern nur noch eine Notfalloption, ihr Kind an der Hauptschule anzumelden. Von wenigen Regionen abgesehen, geht dort niemand mehr freiwillig hin.
Was kann man also tun?
Man muss den Eltern genau die Möglichkeiten für Abschlüsse bereitstellen, die sie wollen, und zwar wohnortnah.
Was heißt das?
Eine Schule am Ort muss immer auch gymnasiale Standards anbieten. Die Leute wollen den Fuß in der Tür haben, dass ihr Kind das Abitur macht.
Manche Bundesländer führen Haupt- und Realschulen zusammen. Meiner Ansicht nach kann man aus zwei Verliererschulen nicht eine Gewinnerschule machen.

 

Schauen Sie nach Schleswig-Holstein - dort wollen die Gemeinden vorzugsweise die Gemeinschaftsschule, die auch das Abitur anbieten kann. Und sie meiden die Regionalschule, die Haupt- und Realschule verbindet.

Kann man Haupt- und Realschüler gemeinsam unterrichten?
Diese Schülerkategorien sind doch ohnehin künstlich, es gibt sie nur in unseren deutschen Köpfen. Aber selbst bei uns gibt es viele Schulen, die mit heterogenen Lerngruppen hervorragende Ergebnisse erzielen.
Und was machen jetzt die Bürgermeister vor Ort?
Die interessieren sich nicht für Durchhalteparolen für die Hauptschule. Die sagen, wir brauchen eine Schule mit allen Abschlüssen vor Ort. Für die ist die Schule im Dorf ein knallharter Standortfaktor. Ohne Schule keine zuzugsbereiten Familien und keine erfolgreiche Wirtschaft. Meine These ist: In Nordrhein-Westfalen wie auch in Bayern wird den Regierungen ihre Schulpolitik um die Ohren fliegen, weil die Bürgermeister nicht mehr mitspielen. Denen sind die Schulen wichtiger als ihr Parteibuch. 


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Schaun wir mal. 

Donnerstag, 13. Juni 2013

Aufstieg durch Bildung. Die Sache mit den Papieren.


"Einige Jahre zuvor, als mir noch nicht klar war, was ich werden wollte, 

 und meine Phantasie auf Hochtouren arbeitete, hatte ich sogar nach West Point auf die Militärakade­mie gehen wollen. Ich hatte mir oft ausgemalt, wie ich in einer heroischen Schlacht starb statt im Bett. Ich wollte ein Gene­ral mit einem eigenen Bataillon werden und rätselte, welcher Schlüssel einem wohl das Tor zu diesem Wunderland öffne.
 

Ich fragte meinen Vater, 
wie man in West Point aufgenommen werden könne. Er sah mich schockiert an und sagte, mein Nach­name fange nicht mit »de« oder »von« an und man brauche Be­ziehungen und makellose Papiere, wenn man es dort zu etwas bringen wolle. Er schlug vor, wir sollten uns darauf konzentrie­ren, diese Papiere zu beschaffen. –
 

Die Sache mit den Beziehungen und den Papieren 
ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Das hörte sich gar nicht gut an; es gab mir das Gefühl, daß mir irgend etwas fehlte. Es dauerte nicht lange, bis ich herausfand, was damit gemeint war und wie einem so etwas die Pläne durchkreuzen kann.
 



Meine frühen Bands wurden mir gewöhnlich von anderen Sängern aus­gespannt, die gerade eine brauchten. Es hatte ganz den Anschein, als passiere das jedesmal, wenn ich gerade eine Band beisammen­hatte. Ich verstand nicht, wie das möglich war, wo doch die ande­ren Jungs auch nicht besser sangen oder spielten als ich. –
 

Ich beklagte mich regelmäßig bei meiner Großmutter, 
die bei uns wohnte, meiner einzigen Ver­trauten, und sie sagte, ich solle das nicht persönlich nehmen. Sie meinte zum Beispiel: »Manche Leute kann man eben nicht über­zeugen. Laß einfach gut sein - das gibt sich von selbst. « Klar, das sagt sich leicht, aber ich fühlte mich trotzdem elend.
 

Es war eben so, 
daß die Jungs, die mir meine Bands wegnahmen, verwandt­schaftliche Beziehungen zu einem hohen Tier in der Handels­kammer, im Stadtrat oder in den Handelsverbänden hatten. Diese Riegen hatten Kontakt zu verschiedensten Kreisen im ganzen Bundesstaat. Die Sache mit den Familienbeziehungen machte mir schwer zu schaffen, und ich kam mir nackt vor.
 

Es war so eine fundamentale Ungerechtigkeit. Den einen ver­schaffte sie einen unfairen Vorteil, und die anderen blieben im Regen stehen. Wie sollte man unter solchen Bedingungen je­mals nach oben kommen? Es sah ganz nach einem Naturgesetz aus, aber selbst wenn es so war, wollte ich mich nicht in den Schmollwinkel verziehen oder das Ganze, wie meine Großmutter sagte, persönlich nehmen. 

Familienbeziehungen waren legitim.
Man konnte sie niemandem zum Vorwurf machen."
 Bob Dylan, Chronicles

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Siehe auch:




"1951 ging ich in die Grundschule", schreibt Bob...

Meine Onkel waren alle in den Krieg gezogen 
und heil zurückgekehrt. Sie hatten Souvenirs mitgebracht - ein japanisches Zigarettenetui aus Stroh, einen deutschen Brotbeutel, eine bri­tische Emailletasse, eine deutsche Staubbrille, ein britisches Kampfmesser, eine deutsche Luger - einen Haufen Ramsch. -

Sie kehrten ins Zivilleben zurück, als wäre nichts gewesen, und lie­ßen nie ein Wort darüber fallen, was sie getan oder gesehen hatten.

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1951 ging ich [in den USA] in die Grundschule.
Wir lernten unter an­derem, wie man unter dem Schultisch in Deckung ging, wenn die Sirene zum Luftalarm aufheulte, weil die Russen uns mit Bomben angreifen könnten. Man erzählte uns auch, die Rus­sen könnten jederzeit über unserer Stadt Fallschirmjäger abset­zen. Die gleichen Russen, an deren Seite meine Onkel nur we­nige Jahre zuvor gekämpft hatten, waren jetzt zu Monstern geworden, die kommen würden, um uns die Kehle durchzu­schneiden und uns zu verbrennen. Das war doch seltsam. –

Trotzdem gab es viele Leute, die diese Bedrohung ernst nahmen, und das färbte ab. Man konnte solchen abwegigen Phantasien leicht zum Opfer fallen. 


Ich hatte dieselben Lehrer wie meine Mutter. 
Zu deren Schulzeit waren sie jünger gewesen, zu meiner inzwi­schen in die Jahre gekommen. In Amerikanischer Geschichte lernten wir, daß die Kommunisten die Vereinigten Staaten nicht einfach mit Waffen oder Bomben zerstören konnten, sondern daß sie auch die Verfassung vernichten müßten, die Gründungs­urkunde unseres Landes. Darauf kam es aber gar nicht an. 

Wenn der Probealarm ertönte, mußte man sich mit dem Gesicht nach unten unter den Tisch legen, sich totstellen, und man durfte kei­nen Laut von sich geben. Als ob das irgendeinen Schutz vor ab­geworfenen Bomben geboten hätte. Die Drohung, daß wir ver­nichtet werden sollten, machte uns angst. Wir wußten nicht, womit wir diese Leute so gegen uns aufgebracht hatten. Die Ro­ten seien überall, hörten wir, und sie lechzten nach Blut. Wo wa­ren meine Onkel, die Landesverteidiger? Sie hatten genug mit ihrer Arbeit zu tun, kratzten Geld zusammen und streckten sich nach der Decke. 
 


Woher sollten sie wissen, was in den Schulen vor sich ging
und welche Ängste dort geschürt wurden?

Das war jetzt alles vorbei."

Bob Dylan, Chronicles 
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 Und heute?

 

Dienstag, 4. Juni 2013

Lerncoaching, ein wirklich gutes Buch dazu und die nichtwissende Haltung

Ganz neu ist die Idee vom Lerncoaching in der Pädagogik nicht, schlappe 100 Jahre. 
Damals verlangte die PEA, die US-amerikanische Progressive Education Accosiation von ihren Mitgliedern:

"THE TEACHER A GUIDE NOT A TALKMASTER"



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Lerncoaching: Was ist das?
"Lerncoaching ist weder Nachhilfe noch Psychotherapie"

Frau Hanna Hardeland erklärt in ihrem wirklich prima neuen Buch (Schneider-Verlag 2013, 18,00 Euro):

Der Begriff Lerncoaching wurde seit etwa 1997 von den Professoren Uwe Hameyer und Waldemar Pallasch im Rahmen von Advanced Studies der Universität Kiel ge­prägt. Lerncoaching wird (auch von den genannten Professoren) als eine spezielle Form der Beratung betrachtet und im Bereich der pädagogisch-psychologischen Bera­tung angesiedelt. -
Mittlerweile wird der Lerncoaching-Begriff unterschiedlich definiert. Es existieren verschiedene Konzepte für Lerncoaching, die u. a. auf den verschiedenen Beratungsansätzen fußen.
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  • Wenn Sie erst mal nur 1 Buch zum Thema Lerncoaching kaufen wollen, dann nehmen Sie am Besten dieses.
  • Das Buch selber ist gut zu lesen, spannend und lehrreich, ich denke, es gibt derzeit kein besseres zum Thema. 
  • Ein paar Rezensionen findet man: Hier.  
  • Einen Blick ins Buch werfen kann man: Hier.
  • Im Literaturverzeichnis gibt es die "richtigen"  ;-) Titel und AutorInnen für den Fall,  dass man sich in die pädagogisch-psychologische Thematik vertiefen möchte (z.B. Rogers, Fischer-Epe, Grawe, Prior, Radatz, Gunther Schmidt, Weinberger ...)
  • Das Vorwort von Martin Wehrle ist allerdings dort eher peinlich, wo er schreibt: "Von diesem Buch werden zwei Gruppen profitieren: die Lehrer [...] und die Schüler [...]." -  so weit passt das wohl, doch dann geht es weiter- : "Dann schläft niemand mehr im Unterricht. Sondern alle sind hellwach." - Schön wäre es. -
  • Endlich greift mal jemand in einem Lerncoaching-Buch die Kritik an den "Lerntypen" auf, die in vielen Ausbildungen noch gelehrt werden (z.B. haptisch/ visuell/ auditiv/ abstrakt-verbal) und weist darauf hin, dass das Typenkonzept
    a) wenig hilfreich ist und b) "sämtliche bisherigen Untersuchungen nicht wissenschaftlich fundiert" seien bzw. sind (S. 126f).
  • Viele hilfreiche Methoden für das LernCoaching werden vorgestellt. Auch einige Methoden aus dem NLP (Pacing/ Rapport/ Leading) werden beschrieben, ohne dabei die Kritik am NLP zu verschweigen (S. 72).
  • Der eklektische/integrative Beratungsansatz bietet dem Lerncoach die Möglichkeit, im Einzelfall am besten erscheinende Vorgehensweise (z. B. lösungsorientiert, personenzentriert, systemisch...) auszuwählen.
  • Immer wieder wird betont, das die SchülerInnen die ExpertInnen für sich selber sind;  dass die Lehrkraft, sobald sie die Rolle der Fach-LehrerIn verlässt und sich in die Rolle des Lerncoaches begibt, auch zwingend eine andere HALTUNG einnehmen muss: 
  • Im Unterricht bin ich als LehrerIn die ExpertIn für mein Fach. - Im Lerncoaching sind die SchülerInnen selber die ExpertInnen für ihre Person; sie erhalten keine Ratschläge, keine Belehrungen. Lerncoaching ist "Beratung ohne Ratschlag" (Sonja Radatz). 
  • Die große und schwierigste Umstellung für die meisten LehrerInnen ist diese: Während des Lerncoachings meine Unterrichts-Rolle des all-wissenden ;-) Fach-Experten zu verlassen und in die Haltung des nicht-wissenden Lerncoaches zu wechseln, der nicht die Antworten gibt,  sondern als Prozess-BegleiterIn den SchülerInnen "auf Augenhöhe" hilft, ihre eigenen Lösungen, Antworten und Wege des Lernens zu finden. 
  • Der Coach ist die Quelle der Reflexion und Ermutigung.  Die Coaching-Zeit ist "die heilige Zeit des Kunden" (Gunther Schmidt), die heilige Zeit der Lernenden.

 






Nichtwisssende Haltung

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 Beratungskompetenz des Lerncoaches
 

Die HALTUNG des Lerncoaches  ist mehr als eine Technik
Eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Lernendem und Lerncoach ist die Grundla­ge eines erfolgreichen Lerncoachings. Der Lerncoach begegnet dem Lernenden wert­schätzend, sodass sich dieser mit seiner Person und seinem Anliegen angenommen 

Wesentliche Erfolgsfaktoren für die Lerncoaching-Arbeit sind die Haltung und die Glaubwürdigkeit des Lerncoaches. [...] 

Neben dem theoretischen (Buch-)Wissen bedarf es vor allem der Praxiserfahrung und der systematischen Reflexion von Lerncoaching-Gesprächen, um Coachingkompetenz aufzubauen. 


Lerncoaching-Arbeit beinhaltet folgende drei wesentliche Aspekte: 
  1. Haltung des Lerncoaches 
  2. Lerncoaching-Prozess: Struktur des Lerncoaching-Gespräches 
  3. Gesprächsführung/-technik
Daher ist es ratsam, dass Lerncoaches bei ihrer Lerncoaching-Arbeit längerfristig von erfahrenen Lerncoaches und Supervisoren be­gleitet werden. 

Schließlich kann die Fülle an Kompetenzen nicht in einem eintägigen Seminar oder durch das Lesen eines Buches erworben werden.



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Siehe auch:

Sonntag, 2. Juni 2013

Von Freedom-Writers, vom wahren Lerntagebuch und von der Lieben Kitty



Vielleicht haben Sie in Ihrer Schule auch Lern-Tagebücher eingeführt und haben damit gute Erfahrungen gemacht. - Dann brauchen Sie jetzt nicht weiterzulesen.

Vielleicht haben Sie aber auch Lerntagebücher in Ihrer Schule eingeführt und spüren, dass sowohl die SchülerInnen als auch Sie selber nicht so ganz wirklich begeistert sind vom Lerntagebuch. Dann helfen vielleicht die folgenden Überlegungen.

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Eine sehr gelungene Arbeit mit "Lerntagebüchern" wird in dem Buch Freedom Writers beschrieben, das auch verfilmt wurde (SchülerInnen schauen diesen Film gerne an - LehrerInnen auch; man kann auch ausgewählte Ausschnitte aus dem Buch in der Klasse/Lerngruppe vorlesen - die SchülerInnen hören i.d.R. gebannt zu):


Erin Gruwell (* 15. August 1969 in Kalifornien) ist US-amerikanische Lehrerin und Buchautorin. Ihre Arbeit an der Wilson Classical High School in Long Beach (Kalifornien) und ihre Buchveröffentlichung (The Freedom Writers Diary, 1999) waren die Vorlage für den Film Freedom Writers, mit Hilary Swank in der Rolle als Gruwell.

"Erin Gruwell, eine idealistische dreiundzwanzigjährige Englischlehrerin, tritt ihre erste Stelle an der Wilson High School in Long Beach, Kalifornien, mit einer Klasse von "nichterziehbaren Risiko-Schülern" an. Als die Lehrerin eines Tages während des Unterrichts eine rassistische Karikatur abfängt, die einen Mitschüler zeigt, erklärt sie den Jugendlichen wütend, genau so etwas habe zum Holocaust geführt...und wird verständnislos angestarrt. Sie lässt alle Lehrbücher einsammeln und beginnt stattdessen, mit ihnen Bücher wie "Das Tagebuch der Anne Frank" zu lesen." [Klappentext



Die Lehrerin Erin Gruwell (2006) 
Die "Lerntagebücher", die Erin Gruwell in der beschriebenen Klasse führen ließ, bekommt die Lehrerin eigentlich nie zu sehen: Alle SchülerInnen bekamen von der Lehrerin (Tochter wohlhabender Eltern) eine Kladde geschenkt, und in diese Kladde sollten und konnten sie ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Erfahrungen eintragen. - So wie es auch Anne Frank gemacht hatte mit ihrem Tagebuch und ihren Briefen an die nicht existierende "Liebe Kitty". Die Kladden wurden von niemand korrigiert und im Klassenzimmer in einem Schrank eingeschlossen. - Irgendwann fingen die SchülerInnen dann an, ihre Texte der Lehrerin zu zeigen, sie wollten sie in der Klasse vorlesen. - Das sind die Texte, die das "Freedom Writers Diary" ausmachen: Die Tagebucheinträge der SchülerInnen + Tagebucheinträge der Lehrerin, die selber parallel auch ein Tagebuch ihrer Arbeit mit dieser Klasse geführt hat.

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"... wir haben die Chance, zu lernen und etwas aus uns zu machen. Wir haben viele Gründe, auf Glück zu hoffen, aber wir müssen es uns verdienen. Und das kann man nicht schaffen, indem man immer den Weg des geringsten Widerstands geht. Sich Glück zu verdienen, heißt, Gutes zu tun und zu arbeiten, nicht zu spekulieren und faul zu sein."
Anne Frank, 15 Jahre, Tagebuch, 6. Juli 1944
Zur Theorie, Teil 1
 

Sie brauchen sich nicht zu wundern und zu sorgen, wenn es mit Ihren Lerntagebüchern nicht so richtig gut funktioniert - denn Sie sind damit nicht alleine. Die "normalen" Lerntagebücher sind ja keine "Tagebücher" im eigentlichen Sinne, da ist ein bisschen Etiketten-Schwindel dabei, man will die SchülerInnen quasi "überlisten", in dem man das Heft nun euphemistisch "Tagebuch" nennt. Ein richtiges Tagebuch schließt man weg und zeigt es niemand. - Man sollte Lerntagebücher also nicht Tagebücher nennen. Lieber z.B. "Lern-Buch", so wie sie auch ursprünglich wohl hießen.
Vielfach haben besonders Jungen und lernschwache SchülerInnen eine "gewisse [...] Abneigung gegenüber dem Schreiben [...], daher fallen schriftliche Selbstreflexionen z.B. in Lerntagbüchern oder bei der Portfolioarbeit teilweise "eher dürftig" aus.
 (Quelle , S. 256)
Besser vielleicht:
Das GESPRÄCH im Lerncoaching bietet die Gelegenheit zum Dialog, während in Lerntagebüchern ausschließlich die Perspektive des Lernenden dargestellt wird, Zusätzlich haben viele Lernende bereit bein Niederschreiben ihrer Schilderungen [...] im Kopf, dass eine Lehrkraft oder ihre Eltern einen Blick darauf werfen werden. Dementsprechend werden die Ausführungen oftmals den Erwartungen pozenzieller Leser angepasst (Orientierung an sozialer Erwünschtheit).
(Quelle, 2007, S. 24)
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Zur Theorie, Teil II
 

Die gute Idee, das gute Anliegen, die hinter den "normalen" Lerntagebüchern stecken, sind natürlich, den Lern-Prozess transparenter zu machen und sich nicht nur um das Lern-Ergebnis (das Lern-Produkt, den Lern-Output) zu kümmern. (Vgl. Quelle, 2007, S. 61)

Die Idee stammt wohl ursprünglich schon aus den 1970er Jahren, wo z.B. Klaus Holzkamp solche Lernbücher führte, um sich selber beim Denken auf die Schliche zu kommen.

Klaus Holzkamp * 30. November 1927 in Berlin; † 1. November 1995 war ein deutscher Psychologe am Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin. Sein Lebenswerk war die Begründung der Kritischen Psychologie, die er in Zusammenarbeit mit anderen Lehrenden und Studierenden ab dem Ende der 1960er Jahre in West-Berlin entwickelt hatte. [wikipiedia]


Mehr zum Thema Lernbücher und Lernen -
muss man sich aber Zeit und Geduld nehmen -
und es geht um`s Lernen von Erwachsenen

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Siehe auch: