Sonntag, 7. Juli 2013

Lehrerdemo, Egoismus und Aufstand. Und ein tapferer CSU-Kultusminister



In diesen Tagen demonstrieren die LehrerInnen. Schön getrennt: Erst der Beamtenbund in Stuttgart, später und am gleichen Tag: Die GEW in Stuttgart und gymnasiale Eltern und PhilogogInnen in Tübingen.

  • Warum getrennt - wäre mal die erste Frage. Muss das sein? Lieber eine große Demo oder mehrere kleine? Höhlt der stete Tropfen den Stein oder eher eine machtvolle Demonstration? 
  • Was auffällt: In den allermeisten Fällen geht es in den Forderungen um die Arbeitsbedingungen der LehrerInnen - um die Bildung der SchülerInnen geht es nur indirekt und/oder in Neben-Forderungen.
Die Schlagzeilen der letzten Tage: 
  • Die grün-rote Landesregierung muss bis 2020 ein strukturelles Defizit im Landesetat von 2,5 Milliarden Euro abbauen. Sparmaßnahmen sind bereits eingeläutet. Einige sehen die Umsetzung jedoch skeptisch.Im Streit um die Beamtenbesoldung hat der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) für die Staatsdiener kürzere Arbeitszeiten gefordert. DGB-Landeschef Nikolaus Landgraf verlangt für die Beamten die 39,5-Stunden-Woche.
  • Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat verärgert auf die andauernde Kritik des Beamtenbunds an der geplanten Verschiebung der Besoldungserhöhung für Landesbeamte reagiert. "Jetzt soll der Beamtenbund mal wirklich zufrieden sein. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er wirklich Grund zur Klage gehabt", sagte Kretschmann gestern. Er hatte sich ursprünglich für eine Nullrunde eingesetzt, war damit aber am Widerstand der Fraktionen von Grün wie Rot gescheitert.
  • Am Samstag hatte Beamtenbundchef Volker Stich bei einer Protestkundgebung moniert, die Beamtenschaft fühle sich «verschaukelt» von Grün-Rot und gedroht: «Wer uns quält, wird abgewählt.» DGB-Landeschef Landgraf sagte: «Dergleichen würde der DGB-Vorsitzende nie sagen. Unsere Mitglieder entscheiden schon selbst, wen sie wählen.»
  • Unter dem Motto „Stoppt den Bildungsabbruch!“ rufen die Arbeitsgemeinschaft Gymnasialer Elternbeiräte im Regierungsbezirk Tübingen und der Philologenverband Eltern, Lehrer/innen und Schüler/innen aus der Region zu einem Protestmarsch durch Tübingen auf. „Einsparungen bei der individuellen Förderung“, so ihre Kritik, „gefährden die Bildung unserer Kinder!“  
  • Am selben Tag wie in Tübingen ruft die GEW zur Demo auf
    Die GEW Baden-Württemberg protestiert gegen:
    • Streichung von Lehrerstellen
    • Verschlechterung der Einstellungschancen für junge Lehrer/innen
    • Befristete Verträge
    • Mangelhafte Unterrichtsversorgung
    • Kürzungen von Anrechnungen
    • Kürzungen der Altersermäßigung
Quellen: Schwäbisches Tagblatt und GEW 
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Es gibt nicht nur den eher "rechten" Beamtenbund und den "rechten" Philologenverband, die wegen der Kürzungen und Streichungen für Beamte und Schulen in ihren Demos auch zum Sturz von Rot-Grün in BW und anderswo aufrufen; auch zahlreiche "linke" LehrerInnen, die bei den letzten Landtagswahlen in BW grün-rot gewählt haben, sagen in diesen Tagen: Bei den anstehenden Bundetagswahlen werde ich weder SPD noch Grüne wählen...

  • Das entbehrt zwar in gewisser Weise der Logik aber verständlich ist der Ärger und berechtigt auch.

Kultusminister schockt Kabinett mit Attacken auf den Finanzkollegen. - Er riskiert sein Amt. 


Vor 40 Jahren gab es einen Skandal in Bayern. Im SPIEGEL vom 3.11.1975 hieß es:
"Bayerns Kultusminister Maier schockt Kabinett und CSU mit Attacken auf den Finanzkollegen Huber. Er riskiert sein Amt. 

Mittwoch letzter Woche, als der Bayrische Landtag den Haushalt beriet, wurde dem Finanzminister Huber auf der Regierungsbank die Ablichtung eines kurz zuvor eingegangenen Briefes von Kultusminister Maier gereicht - eine Kopie. Wie sie zu diesem Zeitpunkt bereits unter Journalisten verteilt war.
Finanzminister Huber las, was Kultusminister Maier von seinen Sparvorschlägen hielt ("Als Ganzes unbrauchbar"), erblaßte, als er Kopie und Original verglich, und gab beides konsterniert an den neben ihm sitzenden Regierungschef weiter. Der reagierte nicht anders, als er feststellte, daß das als persönlich deklarierte Schreiben den Journalisten zugesteckt worden war, sprang auf und hastete zu Maier: "In der letzten Zeit", vernahmen Umstehende, "hast du lauter Scheiße gemacht." [...]
Zumindest blieb letzte Woche Finanzminister Huber erst einmal Sieger, an seinem Haushalt wurde nicht gerüttelt. Das Paket muß nur noch einmal durch das Parlament -- möglicherweise nimmt Maier da noch einmal Anlauf."
Hans Maier, Jahrgang 1931, tat damals das, was man auch heute von einem "roten"(?) Kultusminister in BW gegenüber seinem "roten"(?) Finanzminister erwarten würde: Ausgaben für die Bildung verteidigen -  auch gegenüber einem grünen Ministerpräsidenten, der zudem Mitglied der GEW ist.

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Zurück zum Alten oder nach vorne zum Neuen?

Wenn Beamtenbund-Chef Stich nun auf der o.g. Demo ebenso wie einiger LehrerInnen sagen: Weg mit grün-rot in BW und anderswo (oder so ähnlich), dann ist das - wie oben schon erwähnt - im Zorn verständlich, aber weder in der Sache logisch noch hilfreich. Sicher ist: CDU/FDP würden das auch nicht anders machen. Im Gegenteil. Das weiß jede/r.
Und: Es geht nicht nur darum, als Bildungsminister seinen Job zu tun und für die Bildung zu kämpfen. Es geht auch darum - besonders für Gewerkschaften - die Ursachen des strukturellen Defizits im Landeshaushalt BW, im deutschen Bundeshaushalt und in den nationalen Haushalten von Griechenland, Spanien, Italien, den USA und anderswo zu benennen und zu untersuchen und Alternativen vorzustellen - wenn es denn noch welche gibt.

Der Parteienforscher Frank Walter 
sagt in seinem Artikel :"Egoismus und Aufstand - Ob in Brasilien oder der Türkei: Nicht das Elend, sondern der neue Wohlstand führt zu Unmut". 
Er beschreibt, dass es nicht nur in der Arabellion, sondern auch aktuell in Brasilien und in der Türkei, im 18. Jahrhundert in der Amerikanischen Revolution, 1798 in Frankreich, 1848 in Deutschland, 1918 in Russland, 1968 in Deutschland ... stets die "blockierten Gebildeten" waren, die in den Aufständen der Gesellschaft sozusagen den Kristallisationspunkt bildeten und vorausgingen. "Schon die Bauernkriege um 1525 kamen ohne intellektuelle Anführer nicht aus". 
"Blockierte Gebildete" das sind die, die qua Bildung und Ausbildung zwar das Zeug zum gesellschaftlichen Aufstieg haben, sich aber durch die herrschende Regierung oder das herrschende System um ihren Aufstieg betrogen sehen und deshalb ein neues System suchen.

Es geht also nicht um grün-rot oder schwarz-gelb, sondern um eine Krise der heutigen Parteien-Demokratie, die offenbar in ganz Europa und in den USA nicht mehr in der Lage ist, den Finanz-Kapitalismus zu bändigen und dafür zu sorgen, dass der riesige vorhandene Reichtum es ermöglicht, allen Menschen die arbeiten wollen und arbeiten, ein angemessenes Leben zu ermöglichen und einen würdigen Platz in der Gesellschaft zu finden. Immer mehr Menschen, auch gut ausgebildete, werden "überflüssig", fühlen sich überflüssig und rebellieren. - Die Eurebellion begann im Süden.


Point of no return?

Screenshot 3sat kulturzeit. Mark Friedrich, Matthias Weik
Matthias Weik:
Seit 2008 hat die Politik und die Finanzindustrie nur eins getan: Volkswirtschaftliche Schadenmaximierung auf Kosten von uns allen. Unter uns gesagt: Es ist doch nichts besser geworden seit 2008, sondern wesentlich schlechter. Wir müssen nur nach Südeuropa blicken, und wir sehen was dort passiert. Und da sehe ich nichts, was sich zum Guten wendet. Wir rechnen definitiv mit dem Platzen der Staatsanleihen-Blase, denn wir können nicht Schulden mit Schulden bezahlen, aber das versuchen wir momentan. Aber wenn die Staatsanleihen-Blase platzt, werden die Versicherungen große Probleme bekommen. Wir sind zwar Optimisten, aber wir sind auch Realisten, und ich denke, der Point of no return ist schon übersprungen. Wenn wir nach Südeuropa schauen: Die werden nicht ihre Schulden bezahlen können. Es wir einen Schuldenschnitt geben.

Marc Friedrich:
In der Vergangenheit war es immer so, dass alle ungedeckten Papiegeldsysteme, aber auch alle Währungsunionen immer gescheiter sind. Und wir merken ja gerade, die Rettungspakete werden immer teurer, und immer mehr Länder müssen sich unter dem europäischen Rettungsschirm versammeln.
Und dementsprechen muss man leider sagen, unser Finanzsystem ist im Endstadium, es ist nicht die Frage ob, sondern wann das Ganze kollabiert. Es gibt so viele Variablen im Spiel, keiner was, was im Endeffekt der Auslöser sein wird. Wir haben die japanische Kamikaze-Wirtschaftspolitik, wir haben die chinesischen Schattenbanken, wir haben in Südeuropa die Arbeitslosigkeit, die enorm steigt, wir haben verschiedene Kriegsschauplätze. Jede Variable kann der Auslöser eines Crashs sein. Keiner weiß, was passiert.

Matthias Weik:
Wie gesagt: Wir sind über den Point of no return hinaus, und die Politik wie auch die Finanzwirtschaft ist schlicht und einfach ratlos, sie haben keine Lösung. Denn wenn sie eine Lösung hätten, hätten sie uns diese schon längst präsentiert. - Wie gesagt: Wir können nicht Schulden mit Schulden bezahlen, und ein Großteil Europas ist schlicht und einfach bankrott.

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"Nur wer für die Juden schreit, darf gregorianisch singen"

hat der Theologe Dietrich Bonhoeffer in der Zeit der Herrschaft des Nazionalsozialismus gesagt. 
In Abwandlung könnte man heute sagen: 
  • "Wer für mehr Bildungsausgaben demonstriert, muss auch über die Ursachen und die (anderen) Opfer des Finanz-Kapitalismus schreien". Oder so.
Link:
Welt-Geschichte:

Wandzeitung Peking 1989
 
Die Wandzeitungs-Karikatur von 1989 zeigt einen gebückten Studenten ("Bildung") auf seinem gebeugten Rücken sitzt ein "Kader", ein chinesischer Staats-Kapitalist und Funktionär mit kommunistischem Parteibuch in der Tasche.  
Deng Xiaoping (Teng Hsiao-ping) sagte damals, der größte Fehler der vergangenen 10 Jahre sei die Vernachlässigung der Bildungspolitik gewesen. Trotzdem ließ er die demonstrierenden StudentInnen auf dem Platz des Himmlischen Friedens niederprügeln: Das berühmte Massaker am 4. Juni 1989.










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