Donnerstag, 8. August 2013

Schüler, Lehrer, Vater, Sohn. Von Stärke und Macht in der Schule


Kapitel 1:

Neulich, in einem Lehrerzimmer, hörte ich, wie ein Oberstudienrat einem seiner Oberstufen-Schüler lautstark Vorwürfe machte, ihn anschnauzte, ihn "in den Senkel stellte", so richtig zur Schnecke machte...

Ich weiß nicht mehr genau, was der Schüler "verbrochen" hatte, vielleicht geschwänzt oder eine Aufgabe nicht pünktlich abgegeben. - Spontan dachte ich: "Wie kann ein Oberstufenschüler sich diesen Ton gefallen lassen?" Und erwartete, dass der Schüler sich den unverschämten Ton verbietet, im schlimmsten Fall, den Lehrer ebenfalls anschreit. - Doch nichts geschah. Der Schüler blieb gefasst, senkte seinen Kopf, verließ das Lehrerzimmer schweigend.

Kurz danach hörte man draußen vor der Tür des Lehrerzimmers auf dem Flur, in dem sich auch die Schulverwaltung befindet, ein kurzes lautes Getöse: Der gerade in den Senkel gestellt Schüler hatte seine unterdrückte Wut an einem Stuhl oder einem Regal ausgelassen und ein paar Mal fest dagegen getreten. - Der Lärm ließ die Schulleitung und andere Lehrkräfte aus ihren Zimmern stürzen, der Schüler wurde erneut beschimpft: Was ihm eigentlich einfiele, die Möbel zu beschädigen, das werde Konsequenzen haben... 

Schwarze Pädagogik im 21. Jahrhundert?

Kapitel 2: 

Das «Kongzijiayu» berichtet einen Fall aus der angeblichen Tätigkeit des "Lehr-Meisters Kong" (= Konfuzius) als Rechtspfleger im Lande Lu:
Ein Vater zeigte seinen Sohn an und wurde seinerseits von diesem verklagt. Konfuzius sperrte beide ein und ließ sie erst frei, als der Vater nach drei Monaten Haft seine Anzeige zurückgezogen hatte.

Das Haupt des Hauses Ji kritisierte Konfuzius:
«Dieser Ober­richter hält mich zum Be­sten: Erst sagt er mir, das Wichtigste in Staat und Familie sei die kindliche Ehrfurcht. Nun bot sich Gelegenheit, durch Hin­richtung eines einzigen unehrerbietigen Sohnes dem Volk Ehrfurcht zu lehren. Stattdessen lässt er ihn laufen. Was soll das nur heißen!»
Konfuzius hielt ihm entgegen, dass man nicht den Unteren be­strafen darf, wenn der Obere versäumte, Vorbild zu sein und angemessene Führung zu geben.
Wurde die Armee besiegt, kann man nicht den einzelnen Soldaten zur Rechenschaft ziehen.
Treten im Staat Missstände auf, liegt die Verantwortung zuerst bei der Regierung, nicht beim Volk.
Herrschende dürfen ihren Bürgern keine Strafen auferlegen, wenn sie diese durch übermäßige Forde­rungen zu Fehltritten verleiten, zureichende Belehrung versäumen und nicht vor die Strafe die Warnung stellen.
Siehe auch: Den Namen der Dinge ändern. Konfuzius 


Kapitel 3

Kapitel 3 schreibt sich eigentlich von selber, indem man die Geschichte über Konfuzius mit der aus dem Lehrerzimmer konfrontiert.

Es gibt auch verschiedene Ansätze für die Schule, die von Konfuzius wahrscheinlich überhaupt nicht direkt beeinflusst sind, aber 2500 Jahre nach ihm ganz ähnliche Gedanken vertreten und eine ähnliche Praxis anwenden. 

Da sind z.B. Haim Omer und Arist von Schlippe zu nennen, die ihren Ansatz in den dem neuen Buch "Stärke statt Macht" schildern:
 
"Die Erschütterung der erzieherischen Autorität gilt als eine der Hauptursachen für den dramatischen Anstieg von Gewalt unter Kindern und Jugendlichen. Hier setzen Haim Omer und Arist von Schlippe mit ihrem Begriff der »neuen Autorität« an und entwickeln ein Konzept, das in Familie, Schule und sozialem Umfeld gleichermaßen Anwendung finden kann. Anhand von zahlreichen Fallbeispielen erläutern sie dabei, wie elterliche und pädagogische Autorität auf Anerkennung, echter Stärke und Respekt gründet." (Klappentext)

Der Israeli Haim Omer hat sich sehr mit Mahatma Gandhi beschäftigt und wollte herausfinden, wie man mit Gewalt-Situationen in Familie, Schule und Öffentlichkeit begegnen kann, wie man Gewalt begrenzen kann, ohne selber gewaltsam zu werden. 

Der o.g. Lehrer aus Kapitel 1 probiert es mit der "alten Autorität" (den Schüler anschreien, vor den anderen LehrerInnen demütigen, Vorwürfe machen). Ins andere Extrem würde ein laissez-faire-Lehrer verfallen, der die Augen zumacht, nicht hinschaut. 
Dem wollte Omer etwas Drittes entgegensetzen, das er nun "neue Autorität" nennt oder "Stärke" (statt "Macht") oder "Widerstand" statt Strafen. 



Der Ansatz von Omer und Schlippe verträgt sich hervorragend mit anderen älteren pädagogischen Ansätzen, z.B. der "Lehrer-Schüler-Konferenz" des Carl Rogers-Schülers Thomas Gordon
oder mit dem so genannten Trainings-Raum-Modell nach dem US-Amerikaner Edward E. Ford.

 

Die verschiedenen Ansätze entspringen dem gleichen westlich-humanistischen Geist, ergänzen und befruchten sich gegenseitig. Auch die Asiaten Konfuzius und Mahatma Gandhi hätten sicher Freude daran oder Sympathien dafür. - 
Jedoch wohl kaum für die "schwarze Pädagogik" aus dem 1. Kapitel oben in diesem Post. 



Siehe auch: 
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