Sonntag, 26. Januar 2014

Toleranz, Akzeptanz, Gleiche Rechte. Von "der" Online-Petition, Ideologie und Religion


Zu der berühmten baden-württembergischen Online-Petition , die sich gegen "die Ideologie des Regenbogens" im geplanten neuen Bildungsplan 2015  richtet,
  • über die BerlinerInnen nur den Kopf schütteln und sich wundern, was es im Ländle so alles gibt, 
  • die das Land (angeblich) spaltet
  • und bundesweit in den Medien Aufsehen erregte,
ist wohl inzwischen (fast) alles gesagt und geschrieben, sie wurde rauf und runter diskutiert.

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Ideologie
  • Als wertfreier Begriff ist Ideologie „die allen politischen Bewegungen, Interessengruppen, Parteien, aber auch Konzepten immanente“ Summe der jeweiligen Zielvorstellungen.
  • Politik ist immer mit Ideologie verbunden, eine unideologische, rein technokratische Politik ist realitätsfremd.
    Politische Programme basieren auf bestimmten Wertesystemen. Die grundlegenden politischen Ideologien sind Liberalismus (Betonung der Freiheit), Sozialismus (Betonung der Gleichheit) und Konservatismus (Betonung von gesellschaftlichen Traditionen).
    (Schreibt wikipedia)
So kann man aus der Distanz betrachtet sagen:
Aus dem Geiste einer konservativen Ideologie heraus bekämpfen der Verfasser der Petition (Mitglied der Prisma-Gemeinschaft) und deren UnterzeichnerInnen einen (vorerst nur in Entwürfen vorhanden) Bildungsplan, der aus einer liberalen Ideologie heraus entworfen wurde. -

Bei den letzten Landtagswahlen
und im Landtag in Baden-Württemberg waren bzw. sind die Konservativen in der Minderheit; bei der Verabschiedung des Bildungsplans wird es nun darum gehen, dass die "liberale" grün-rote Landesregierung im Beirat zum Bildungsplan und im Landtag für ihren Aktionsplan für Toleranz und gleiche Rechte und für dessen Umsetzung auch im kommenden Bildungsplan eine Mehrheit findet bzw. für sich gewinnt.

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Mehrheiten und Zahlen
Die besagte (unsägliche) Online-Petition hatte am Ende, nach 2 Monaten Laufzeit, 81.909  UnterzeichnerInnen aus Baden-Württemberg (BW), (insgesamt 192,240; 100.000 war das Ziel gewesen).
Sind das eigentlich viel? Nicht wirklich:
  • Das Land hat etwa 7,8 Millionen Wahlberechtigte. 78.000 von 7,8 Millionen, das sind 1% der wahlberechtigten BürgerInnen des Ländles.
  • Die Online-Petition Raus mit Markus Lanz aus meinen Rundfunkgebühren hat nach 10 Tagen Laufzeit auch schon 226.000 UnterstützerInnen (noch 48 Tage verbleibend).
  • Also: Schon eine nicht zu vernachlässigende Zahl!-  Aber damit kann man auch nicht wirklich einen Blumentopf gewinnen.

Lutz van Dijk, 2008. 223 Seiten. 14,90 €
Die UnterstützerInnen
stammen zu einem Teil aus den Kreisen, in denen auch der Initiator der Petition verankert ist, also aus evangelisch-konservativen pietistischen Kreisen, z.B. der o.g. Prisma-Gemeinschaft oder der Evangelischen Allianz. -

Diese konservativen Kreise der Evangelischen Landeskirche haben auch im württembergischen Kirchenparlament , der Landes-Synode, eine relativ starke Position.
Repräsentieren sie die Evangelischen des Landes? Nein:

In Württemberg gab es bei den letzen Kirchenwahlen (2013)  1.941. 834 wahlberechtigte Mitglieder der Evangelischen Landeskirche, davon sind 472.214 zur Wahl gegangen (= 24,3%).
In der Landessynode hat die (sehr) konservative Lebendige Gemeinde durch die Wahl 39 der 90 Sitze (ca. 43%) erhalten und bildet damit die stärkste "Fraktion".Ein starkes Ergebnis.
  • Mit anderen Worten: Die Konservativen in der württembergischen Landessynode sind von etwa 203.000 der 1,9 Millionen wahlberechtigten Mitglieder der Ev. Landeskirche gewählt worden, und repräsentieren mit ihren 43% der Sitze etwa 10-11% der württembergischen Protestanten. (In der Ev. Landeskirche Badens gilt ein anderes Wahlrecht für die Landessynode; traditionell sind die BadenserInnen allerdings insgesamt liberaler als die Schwaben.)
Eine Zahl am Rande. Brigitte Lösch:
 Brigitte Lösch, Grüne und 1. stellvertretende Vorsitzende des Landtages von Baden-Württemberg, hat bei den Synodalwahlen 2013 kandidiert und 17.337 Stimmen auf sich vereinigt. - 2 Stimmen mehr, und sie wäre die Stimmenkönigin der Kirchenwahlen gewesen. Sie ist Mitglied der Offenen Kirche, einer liberalen "Fraktion"  des Kirchenparlamentes, und überzeugte Verfechterin des Aktionsplan für Toleranz und Gleichstellung der Landesregierung.


Die Regenbogen-Flagge am 28. Juni 2012  vor dem Sitz des Ministerpräsidenten Kretschmann, der Villa Reitzenstein. Symbol für die Vielfalt der Menschen im Lande:
"Also ich denke, das ist ein schönes Symbol für die Vielfalt." (Kretschmann)


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Auch die evangelische Kirche SCHREIBT von Toleranz:


Toleranz war - wie der Zufall(?) es wollte -  das Jahrestehma 2013 der sog. Luther-Dekade der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): 

" Für Toleranz sind zwar irgendwie (fast) alle. Doch schon bei der Definition des Begriffs zeigen sich Probleme. Wo beginnt Toleranz für mich, wo hört sie auf?" (Schreibt die EKD a.a.O.) 
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Für die (ev. und katholischen) Kirchen Baden-Württembergs hört die Toleranz derzeit schon beim neuen Bildungsplan auf.

Dezent formulieren sie:
  • "Die umstrittenen „Leitprinzipien“ für den Bildungsplan 2015 in Baden - Württemberg stoßen bei den christlichen Kirchen auf Kritik.
  • Die Bildungs., Schul- und Hochschulreferenten der evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche in Baden-Württemberg sind mit dem Kultusministerium, dem Landesinstitut für Schulentwicklung und den politisch Verantwortlichen im Gespräch."
Die gemeinsame Erklärung, die man > hier nachlesen kann, klingt harmlos und irgendwie selbstverständlich, positiv und akzeptabel:
"[...] Die evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche in Baden-Württemberg treten für Weltoffenheit, Toleranz sowie Respekt vor jedem Menschen und seiner unantastbaren Würde ein. Insbesondere sehen sie in den Menschenrechten und der Menschenrechtsbildung einen geeigneten Bezugsrahmen, um mit der Vielfalt in Schule und Gesellschaft umzugehen. [...] Damit treten wir für eine Bildung ein, die Kinder und Jugendliche stark macht, eine eigene Identität auszubilden und ihre Gemeinschaftsfähigkeit zu fördern. [...]"
Der Teufel

Der Heilige Augustinus und der Teufel
steckt jedoch auch bei kirchlichen Texten im Detail; das macht sich jedoch erst dann bemerkbar, wenn es um die praktischen Dinge des Lebens geht:
  • Fordern die Kirchen in ihren o.g. Gesprächen die Landesregierung auf, künftig in Schubüchern ganz selbstverständlich auch schwule und lesbische Paare mit Kindern als "normale" Familie zu zeigen?
  • Darf ein gleichgeschlechtlich liebender Mensch, der in eingetragener Lebenspartnerschaft lebt, Pfarrer oder Pfarrerin werden? 
  • Soll dieses Paar selbstverständlich zusammen im Gemeindehaus leben, weil der Mensch nicht trennen soll, was Gott verbunden hat?
  • Predigen die PfarrerInnen in den Kirchen, dass Gott die Menschen nach seinem Abbild schuf, als Mann und Frau (Schöpfungsgeschichte, 1. Mose 1,26f) - und manchmal eben auch als schwul oder lesbisch oder trans-ident? Und dass Gott, bevor er am 7. Tage ruhte, sein Werk betrachtete und das alles sehr gut fand (a.a.O., 1. Mose 1,31)?
  • Darf ein Paar, das auf einem Standesamt in Baden Württemberg eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen ist, sich auch in der Kirche vor dem Altar trauen und segnen lassen?
  • Will die Kirche wirklich Licht der Welt und Salz der Erde (Bergpredigt, Matthäus 5,13) sein und z.B. eine "richtige" Hochzeit eines gleichgeschlechtlichen Paares in der Kirche zelebrieren, wo doch eine "richtige" Heirat auf den Standesämtern in Baden-Württemberg noch nicht möglich ist?
  • Wird ein Jugendlicher, der sich im Konfirmandenalter in seiner Kirchen-Gemeinde outet ganz selbstverständlich konfirmiert werden?
  • Dürfen sich die KirchengemeiderätInnen in ihrer Gemeinde outen? Gehen die Kirchen vielleicht auch hier voran und empfehlen ihren KirchengemeinderätInnen sich zu outen, um der christlichen Jugend ein Vorbild zu sein und jeglicher Heuchelei vozubeugen?
  • ....
Wenn 
die Kirche diese und andere Fragen laut und ehrlich und aus ganzem Herzen mit JA bantworten kann,
dann spricht sie zurecht von jedem Menschen und seiner unantastbaren Würde und dann kann sie auch sagen, dass sie für Weltoffenheit, Toleranz sowie Repekt vor jedem Menschen eintritt.

Wenn nicht,
dann sind die schönen Worte in der o.g. gemeinsame Erklärung der Kirchen nur Blendwerk.

Quelle: Webseite der EKD - Was soll uns der Schüler am Kreuz sagen?
In BW gibt es gut 1 Million SchülerInnen. Man geht davon aus,
dass mindestens 30.000 davon gleischgeschlechtlich orientiert sind,
was etwa 1000 Schulklassen ensprechen würde. (Manche rechnen mit 60.000).
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Das sagen die Anderen:

Links:
  • Die Landesregierung (Referat 32, Grundsatzfragen...): Haltungen der Wertschätzung, Toleranz und Weltoffenheit
  • Video mit Kultusminister Stoch: Schulen Orte der Toleranz und des Miteinanders, nicht Ort der Ausgrenzung
  • Der Landeselternbeirat: "Der Landeselternbeirat begrüßt ausdrücklich, dass das Thema „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im  neuen Bildungsplan vertreten ist."
  • Der Landesschülersprecher: "Wir finden das gut und halten das Thema Sexualität in der Schule für sehr wichtig."
  • Der LandesschülerInnen-Beirat hat Pläne verteidigt, Toleranz für Homosexualität in den Bildungsplänen des Landes zu verankern. 
  • Pater P. Mertes SJ, Schulleiter a.D.: "Es ist ekelhaft, wenn sich christlich nennende Hetzer und Blogger von einem »christlichen Menschenbild« sprechen, um Hass gegen Schwule, Lesben und Transsexuelle auszuüben."

"Alles, was ich als Eltern mir wünsche für mein Kind,
ist doch, dass es glücklich werden darf, dass ihm nichts zustößt, dass niemand ihm Schaden zufügt. Wenn ich nun ein Kind habe, das fünf oder sieben oder zehn Jahre alt ist, dann kann ich nicht wissen, ob es durch eine Infektion womöglich gehörlos wird oder ob es in der Pubertät entdeckt, dass es schwul oder lesbisch liebt oder ob es vielleicht später keine Arbeit findet.
Wenn ich all das als Eltern nicht garantieren kann, wenn ich nicht weiß, was oder wer mein Kind eines Tages sein wird, dann würde ich unbedingt eine Gesellschaft mitgestalten wollen, in der mein Kind respektiert und beschützt ist, ganz gleich, ob es jüdisch, lesbisch, gehörlos oder Bayern-München-Fan ist."
Carolin Emcke      > Quelle